Festrede der Polizei, POK Thorsten Schnell, Polizeipräsidium Osthessen

Polizeidirektion Vogelsberg

4. Hambacher Bikerfest 2002 am 03.08.2002
Redekonzept zu Verkehrsunfallzahlen und Aktionstagen im Bereich der B276

Einladung der Motorradinitiative Deutschland e.V.

Referent: Polizeioberkommissar Thorsten Schnell, Polizeidirektion Vogelsberg

 

P r o j e k t B 2 7 6

"Mit 143 Km/h auf der Rennstrecke"

"Wilde Motorradrennen im Vogelsberg"

"Polizei zeigt mit Motorradkontrollen auf der Rennstrecken B 276 Präsent"

"B276 für Motorradfahrer bald tabu?"

"Aus der Schräglage direkt in die Radarfalle"

"Gerast: Zwei Motorradfahrer wurden zu Fußgängern"

Mit diesen Schlagzeilen hat in den letzten Jahren die lokale Presse im Vogelsbergkreis die Probleme übertitelt, die sich seit 1990 im Zusammenhang mit der starken Nutzung einen Streckenabschnittes der B276 zwischen Gedern, Schotten und Laubach an den Wochenenden durch Motorradfahrer ergeben.

Erhöhtes Unfallaufkommen, Beeinträchtigung der Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer sowie Lärmbelästigung.

Bis zu 2.000 Motorradfahrer aus dem ganzen Bundesgebiet nutzen an den Wochenenden in den Sommermonaten diesen Streckenabschnitt für – so in den Medien verwandte Charakterisierung – "24 Kilometer Fahrspaß".

Unfallzahlen

Dem gegenüber mussten auf dieser Strecke in den letzten 8 Jahren insgesamt 201 Verkehrsunfälle mit Kradbeteiligung polizeilich aufgenommen werden. Das entspricht statistische 24 Unfälle im Jahr. Betrachtet man die Gesamtlänge von 24 Kilometern, wird deutlich, dass die Unfallgefahr für Motorradfahrer überproportional hoch ist. Würde man die Unfälle auf der Strecke gleichmäßig verteilen, so hätten wir jährlich auf jedem Kilometer die Unfallstelle eines Motorradunfalls.

Statistisch ist das Unfallrisiko für den Motorradfahrer zehnmal höher als bei Autofahrern. Häufig wird ein Motorradfahrer aufgrund seiner schmalen Silhouette übersehen. Für einen Autofahrer ist es schwierig, die Geschwindigkeit eines Motorradfahrers einzuschätzen und oft erkennt er auch nicht dessen Platzbedarf in Kurven.

Diese Ursachen sind jedoch nicht charakteristisch für den Streckenabschnitt der B276. Der typische Unfall ist ein Alleinunfall, bei dem männliche Motorradfahrer aufgrund überhöhter Geschwindigkeit i.V. m. einem Fahrfehler von der Fahrbahn abkommen und verunfallen. Unfallursache Nr. 1 an diesem Streckenabschnitt ist die nicht angepasste Geschwindigkeit. Die Unfälle ereigneten sich zum überwiegenden Teil in den Sommermonaten mit einem Hoch im April zu Saisonbeginn und im August. Die zeitlichen Schwerpunkte liegen an den Wochenenden und hier insbesondere am Sonntag.

Die nüchternen Zahlen der letzten 8 Jahre:

Nach einer Untersuchung der Kraftfahrtversicherer entsteht durch einen Unfall mit Leichtverletzten ein volkswirtschaftlicher Schaden in Höhe von 3000,-- €, ein Schwerverletzter schlägt mit 30.000,-- € und ein Toter mit 800.000,-- € zu buche. Der volkswirtschaftliche Schaden in den letzten 8 Jahren beträgt demnach 7,8 Millionen Euro.

Das sind zwar alles nur Zahlen, hinter denen aber oft schwere Schicksale stecken. Man stelle sich vor, ein Familienvater und Ehemann kommt nach einem Sonntagsausflug nicht zurück und hinterlässt Frau und Kinder ....

Lösungsansätze

Die Polizei war und ist entschlossen, ihren Teil zur Problembewältigung zu leisten und dieser Strecke einen gewissen Vorbildcharakter zu geben.

Das Projekt sollte einerseits durch entsprechende bauliche, verkehrsregelnde und überwachende Maßnahmen, aber auch andererseits insbesondere durch Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit bei den Motorradfahrern und durch begleitende Öffentlichkeitsarbeit erreicht werden.

Ziel war und ist, keine Verdrängung der Motorradfahrer durch Streckensperrung, sondern vielmehr ein vernünftiges Miteinander.

Verkehrsüberwachung

Die aufgezeigten Verkehrsunfälle aber erfordern regelmäßige Überwachungsmaßnahmen, die in der Bikerszene auch Verunsicherung und somit Steigerung im verkehrskonformen Verhalten bewirkt.

Durch die Polizei werden an diesem Streckenabschnitt regelmäßig verkehrsüberwachende Maßnahmen durchgeführt, die sowohl das Ziel haben, die gefahrene Geschwindigkeit zu überwachen als auch die technischen Einrichtungen an den Krädern zu überprüfen.

Neben der Tatsache, dass so mancher Motorradfahrer sein Krad aufgrund technischer Veränderungen stehen lassen musste, ermöglichen die neuen technischen Möglichkeiten der Polizei, an jeder Stelle im Streckenabschnitt Geschwindigkeitsmessungen durchzuführen. In Verbindung mit unmittelbar durchgeführten Anhaltekontrollen und Hinweis auf das Fehlverhalten werden die Motorradfahrer nachhaltig in ihrem Fahrverhalten beeinflusst.

Ein weiterer aber auch zugleich provokanter Schritt in der Unfallpräventation wäre die Einführung der Halterverantwortlichkeit nach den gleichen Grundsätzen wie im ruhenden Verkehr. Die derzeitigen Probleme in der Beweisführung könnten hierdurch erheblich reduziert werden uns somit deutlich zum verkehrskonformen verhalten beitragen.

Aufklärung

Die Polizeidirektion Vogelsberg ist bestrebt, mit den Motorradfahrern in den Dialog zu treten und hat in den Jahren 1999, 2000 und zuletzt am 02.06.2002 Aktionstage an dem bekannten Falltorhaus durchgeführt.

Hier stand nicht die Repression sondern vielmehr die Prävention und der Dialog im Vordergrund.

Unter Beteiligung einer Vielzahl von Behörden, Institutionen aber auch von Interessenverbänden der Motorradinteressierten wurden an den Aktionstagen bis zu 10.000 Motorradfahrer über die Unfallgefahren, die Technik aber auch über die Unfallverhütungsmaßnahmen umfassend informiert.

So waren auszugsweise die Polizeidirektionen Vogelsberg und Gießen, die Städte Schotten und Laubach, der hessische Fahrlehrerverband, die Verkehrswacht, der ADAC, die DEKRA, der TÜV, der Bund gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr, die Fachstelle für Suchtprävention aber auch der Motorradsportclub Schotten, die Motorradfreunde aus Ulfa, Motorradhändler aller Fabrikationen, und insbesondere auch die "MID" (Motorradinitiative Deutschland e.V.) vertreten durch Herrn Kaiser und Herrn Frieling, an den Aktionstagen beteiligt um mit Fahrsimulationen, Fahrsicherheitstraining, Geschicklichkeitsvorführungen, Seh- und Reaktionstest, Lehrvorführungen, Informationsständen und nicht zuletzt in Gesprächen die zahlreichen Motorradfahrer zu erreichen und auf die Gefahren hinzuweisen.

Im Jahr 1999 stand der Aktionstag unter dem Motto "B276, schneller als die Polizei erlaubt", wurde durch eine wissenschaftliche Studie der Verwaltungsfachhochschule Gießen begleitet und richtete sich schwerpunktmäßig gegen die geschwindigkeitsbedingten Unfälle.

Im Jahr 2000 nahmen wir die Proteste der Bürgerinitiativen zum Anlass und setzten den nächsten Aktionstag unter das Motto "...lauter als die Polizei erlaubt". Hier stand die Lärmquelle Zweirad im Straßenverkehr im Vordergrund und wurde durch anschauliche Informationsstände und technische Beratungen den Motorradfahrern dargelegt.

2002 schlossen sich die Städte Schotten und Laubach mit Gewerbetreibenden zu der Arbeitsgemeinschaft Motorradtouristik zusammen und richteten mit der Polizei den bisher umfangreichsten Aktionstag unter dem Motto "Biker gegen Gewalt und Drogen" aus. Ziel war es hier, das Image der Motorradfahrer zu verbessern und sie nicht, wie es leider oft geschieht – mit Schlägereien und Rowdytum in Verbindung zu bringen. Die Polizei beteiligte sich mit hohem personellen Aufwand und konnte in Zusammenarbeit mit allen Akteuren einen wichtigen Beitrag zur Unfallverhütung auf der Strecke leisten.

Im Ergebnis kann festgestellt werden, dass sich seit den verstärkten Aufklärungs- und Überwachungsmaßnahmen sowie die angeführten baulichen Maßnahmen das Unfallaufkommen von 1999 im Jahr 2000 zunächst um 23 % und im Jahr 2001 um weitere 13 % reduzieren ließ.

Schnell, POK