Festrede der Polizei, PHK Hartmut W. Gohlke

Polizeipräsidium Osthessen
Polizeidirektion Vogelsberg
PSt. Lauterbach
Mühlgassee 4/4a
63679 Schotten

4. Hambacher Bikerfest am 03.08.2002

Einladung der Motorradinitiative im Schloß Hambach

Referat zur Aktion B 276

Referent: PHK Gohlke

1. Vorstellung des Aufgabengebietes als Polizeibeamter und der Region Schotten

Leiter des Polizeiposten in Schotten, einer Gemeinde mit rund 11.000 Einwohnern im Landschaftsschutzgebiet "Hoher Vogelsberg" mit dem Bereich des ehemaligen "Schottenring". Ein landschaftlich interessantes und abwechslungsreiches Gebiet vulkanischen Ursprunges, mit sehr viel Wald bedeckt und landschaftlich geprägter Struktur.

Entstehung des "Schottenring"
Der Begriff "Schottenring" weckt bei ehemaligen Bikern, aber auch bei heutigen Fahrern noch immer Erinnerungen an eine ehemalige Rennstrecke für Kräder. Der Begriff "Schottenring" entstand 1925, nachdem sich in der Stadt Schotten ein "Vogelsberger Automobil- und Motorradclub gebildet hatte. Dieser Verein begründete 1925 eine Rennstrecke, welche ihr Start und Ziel in Schotten hatte und kreisförmig im Norden der Stadt lag. Die Streckenlände betrug 17 Kilometer und führte über öffentliche Landstraßen. Dabei wurden erhebliche Höhenunterschiede überwunden. Nach der Chronologie des Vereins kamen bereits beim ersten Rennen 10.000 Zuschauer. Schon zwei Jahre später fand ein Rennen zur Wertung der Deutschen Meisterschaft statt.

Im Jahre 1930 fuhren bereits Sonderzüge zu den Rennen, der Rundfunk übertrug life von der Veranstaltung. Man erwähnt dabei 50.000 begeisterte Zuschauer. Nach Streckenausbau fanden vor dem Weltkrieg auch Rennen mit Sportwagen statt. die Zuschauerzahlen stiegen entsprechend an.

Nach dem Krieg fand 1951 das 1. internationale Rennen statt. Der Verein erwähnt zu dieser Veranstaltung die Besucherzahlen vom 200.000.

Es folgten 1953 der Große Preis von Deutschland und jährliche Rennen bis 1957.

In diesem Jahr berichtete erstmalig das Fernsehen direkt von der Veranstaltung. Es war aber auch das letzte Rennen dieser Tradition, denn es stellte sich heraus, dass die Strecke unbedingt bauliche Veränderungen benötigte, um den Ansprüchen der immer schnelleren Maschinen gerecht zu werden.

Es folgten in den 60er Jahren Pläne zum Ausbau als "Motodrom", die nach dem "Aus" durch die Landesregierung im Jahre 1967 auf Eis gelegt wurden.

Der Verein blieb weiterhin aktiv und veranstaltete in den Folgejahren verschiedene interne Fahrten, die das Rennsportinteresse der Bevölkerung was hielten. Aber auch diese Veranstaltungen mußten 1983 auf Grund der Fahrbahnbeschaffenheit eingestellt werden.

1989 begann eine neue Ära im Vereinsgeschehen, denn ein Rundkurs im Stadtgebiet fand Eingang in die Wertungsläufe zur Meisterschaft., Dabei ist nicht die Geschwindigkeit ausschlaggebend, sondern die Gleichmäßigkeit der Fahrt in der zurückgelegten Rundstrecke. Da auch die Strecke mit historischen Krädern befahren wird, hat sich die Veranstaltung als Zuschauermagnet erwiesen, die jährlich ca. 30.000 Zuschauer in ihrem Bann zieht.

So bleibt der legendäre "Schottenring" auch bei jüngeren Bikern bekannt als besondere Motorradstrecke.

2. Mit dem veränderten Freizeitverhalten hat sich in dem letzten Jahrzehnt die Zahl der Biker vervielfältigt.

Diesen Trend nutzte der Wirt einer kleinen Gaststätte an der B 276 außerhalb von Schotten. Diese Bundesstraße ist eine Besonderheit im Gebiet.

Charakteristisch ist sie
  • eine landschaftlich schön gelegene Bundesstraße,
  • bei einer Streckenlänge von 23,8 Kilometern durch eine unablässige Folge von Kurven fahrerisch sehr anspruchsvoll für Biker,
  • führt nur durch eine Ortschaft hindurch.
  • Dieser Wirt erkannte die Marktlücke und entdeckte die Biker als seine Gäste, passte sich ihren Bedürfnissen an.
    Er entwickelte dieses Gasthaus, "Falltorhaus" genannt, als überregionalen Treffpunkt für Motorradfahrer.

    Bereits 1999 war in der Aral-Website zu lesen, ich zitiere:
    "Urige Kneipe, Hausmannskost, Helmwaschanlage und was Biker sonst noch so brauchen. Sehen und gesehen werden mit Super Kurvenstrecken im direkten Umkreis, in unmittelbarer Nähe des legendären Schottenringes. Hier treffen sich alle, ob Chopper, Enduro, Rennmühlen. Es gibt riesige Schnitzel."

    Folgen dieser Entwicklung

    Die Zahl der Biker auf der B 276 zwischen Gedern – Schotten – Laubach, und nur dort obwohl eben diese Strecke nicht Bestandteil des "Schottenring", explodierte in den Folgejahren förmlich.

    Die Folgen waren
  • stark ansteigende Unfallzahlen von Krädern, meist Alleinunfälle, teils mit tödlichem Ausgang, zumindest oft mit erheblichen Verletzungen,
  • steigende Lärmbelästigung der Bewohner an der Strecke, insbesondere durch frisierte Maschinen und in höher Drehzahl fahrender Lenker
  • aggressive Fahrweisen Einzelner, die Zeitmessungen durchführten, wer als Schnellster eine bestimmte Strecke befuhr,
  • eine physische Bedrohung anderer Verkehrsteilnehmer durch Kräder-Pulks und riskante Fahrweisen,
  • Ansammlung von "Zuschauern" auf der Strecke, in besonderen "Applauskurven", die extreme Schräglagen mit Klatschen honorieren und mit Kamera dokumentierten.


  • Widerstand gegen die Biker entsteht

    In der Bevölkerung von Schotten, insbesondere einem Ortsteil, der fast ringförmig von der Strecke umfasst ist, regte sich ob dieser Entwicklung am 1989 Widerstand. Viele Bürger meldeten, teils anonym, ihre Feststellungen über "Rennveranstaltungen" auf der B 276. Es traten Meldungen auf, die Bürger wollten Sand oder Dung auf die Straße bringen, um so die Biker zum Langsamfahren zu zwingen.

    Diese Bürgerinitiative forderte eine Streckensperrung für Kräder , um so ihre Ruhe und Entspannung in ihrem Landschaftsschutzgebiet zurück zu erhalten.

    3. Maßnahmen der Behörden

    Die zuständigen Behörden, Hess. Verkehrsministerium, Straßenbauverwaltung, Verkehrsbehörde, Stadtverwaltung und Polizei, versuchen gemeinsam, in engem Kontakt mit der Bürgerinitiative, eine Lösung zu finden, die allen Interessengruppen gerecht werden sollte.
    Dabei wurde kreisübergreifend beraten, da die genannte Strecke die Kreise Wetterau, Vogelsberg und Gießen berührt.
    Eine generelle Sperrung der Strecke wurde zwar mit in die Überlegung einbezogen, aber durch den überregionalen Charakter der Strecke abgelehnt.
    Dies auch unter dem Aspekt, dass eine solche Sperrung nur eine Verlagerung des Verkehrs auf andere Strecken bewirken würde.
    Durch bauliche Maßnahmen wurde die Strecke für Kradfahrer sicherer gemacht.

    Dazu zählen folgende passive Schutzeinrichtungen in Kurven:
    - Anbringung von Protektoren um die Schutzplankenhalter
    - Anbringung von doppelten Schutzplanken, so dass ein "Durchrutschen" verhindert wird.

    In bestimmten Unfallzonen und nahen Ortsbereichen wurden
    - Geschwindigkeitsbegrenzungen und Überholverbote angeordnet, um die Unfallzahlen zu senken und die Lärmbelästigung auf ein erträgliches Maß zu reduzieren.

    Eine Schautafel "am Falltorhaus", dem zentralen Biker-Treff, wurde mit Bilder spektakulärer Unfälle der Strecke und Statistiken der Unfallzahlen angebracht und laufend ergänzt.

    Als repressive Maßnahmen wurden vorgesehen:
    - eine starke Polizeipräsenz auf der Strecke und Platzverweise an Zuschauer,
    - verstärkte polizeiliche Kontrollen auf Geschwindigkeit, Lärmpegel, Veränderungen an Fahrzeugen,
    - größere Sonderkontrollen der Polizei unter Einbeziehung technischer Überprüfungen durch TÜV, Sonderfahrzeuge der Polizei wie Provita-Messungen, Radarpistolen.

    Zur Steigerung der Verkehrssicherheit der Biker wurden Sonderveranstaltungen von der Polizeidirektion Vogelsberg durchgeführt.

    Über diese erste Veranstaltung im Jahre 1999 und folgende, als auch Entwicklung der Unfallzahlen referiert Kollege Schnell.